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Empfehlungen zur Bundestagswahl 2021 

von Alexander Wrede 

Wer hat schon Zeit, die Wahlprogramme zu lesen? Hier sind für euch die wichtigsten Punkte aller Parteien in Kurzform. Und ja, tut mir Leid, toll sind die alle nicht. Aber teilweise wirklich überraschend - es lohnt sich also, mal reinzuschauen!

Die wichtigsten Themen

Welche Maßnahmen haben die Parteien gegen den Klimawandel im Programm? Spoiler: Keine einzige der großen Parteien versucht ernsthaft, das wichtige 1,5 Grad-Ziel einzuhalten. Und das zweite große Thema, das alle Menschen in diesem Land betrifft: Wer soll mehr Geld zur Verfügung haben, wer weniger - und wie wird das finanziert? Ich stützte mich dabei teilweise auf die Analysen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und die Einordnung der Süddeutschen Zeitung. Außerdem: Welche Koalitionen werden angestrebt?

CO2-Budgets

Infografik: Ist das Klimaziel mit dieser Politik erreichbar? | Statista

Die Abbildung zeigt, wie viel CO2 wir noch ausstoßen dürfen, um das 1,5-Grad-Ziel mit mittlerer Wahrscheinlichkeit zu erreichen -  und wie viel die einzelnen Parteien in ihren Parteiprogrammen vorsehen. Es gibt einen weitgehenden wissenschaftlichen und politischen Konsens, dass wir eine Temperatur von 1,5 Grad nicht überschreiten dürfen, um einen bewohnbaren Planeten für die nächsten Generationen zu erhalten. Derzeit liegen wir bei einem Anstieg von 1,2 Grad und die Auswirkungen in Form von Hitzewellen, Waldbränden und Flutkatastrophen sind bereits spürbar, werden aber weiter zunehmen.

Mehr Infografiken finden Sie bei Statista.

FDP

Die radikalste (und in der Theorie auch ziemlich coole) Klimaschutz-Lösung kommt von der FDP: Es gibt einen “harten Deckel” für CO2-Emissionen. Wer wie viel CO2 ausstoßen darf, regelt der Markt ganz allein über einen am Markt gebildeten Preis. Das ist wahrscheinlich eine effektive Maßnahme, bei der sich die besten Wege zur Einsparung von CO2 durchsetzen werden - und zugleich ein “spannendes” Experiment. Wenn die FDP das tatsächlich durchzieht (und Experten haben begründete Zweifel daran), wird der Benzinpreis schnell über 2 Euro pro Liter steigen. Kohlekraftwerke wären quasi sofort unrentabel, Strom unbezahlbar. Muss man also erstmal ganz ohne Strom auskommen? Natürlich nicht, und die Lösung wird sein, den “harten Deckel” so weit aufzuweichen und in die Zukunft zu verschieben, dass es keine Probleme bei der Umsetzung gibt - die dann allerdings vermutlich zu spät kommt. Tatsächlich zeigt die Abbildung (s.o.): Das CO2-Budget der FDP ist schon jetzt viel zu hoch angesetzt. Die größte Überraschung: Die Einnahmen aus dem Emissionshandel will die FDP gleichverteilt auf die Bevölkerung ausschütten. Die FDP nennt das Klima-Dividende, die Idee hat sie von den Grünen übernommen.

Steuerlich ist die FDP wenig überraschend aufgestellt: Top-Verdiener werden mit großem Abstand am meisten entlastet, Mittelstand und Geringverdiener deutlich weniger. Wer 150.000 Euro oder mehr verdient und gleichzeitig dringend eine finanzielle Entlastung benötigt, sollte sich für die FDP entscheiden. Aber auch alle anderen Einkommensgruppen werden nach dem Motto “je mehr, desto mehr” entlastet, so dass am Ende ein Haushaltsloch von 88 Milliarden Euro entsteht, geplante Investitionen nicht mitgerechnet. Um diese gigantischen Mehrausgaben zu finanzieren, setzt die FDP auf magisches Turbo-Wirtschaftswachstum. Kann klappen, ist aber wohl etwas naiv kalkuliert.

Die FDP wünscht sich eine Koalition mit der Union, dafür wird es aber wahrscheinlich nicht reichen. Die wahrscheinlisten Konstellationen wären eine Ampel mit SPD und Grünen oder "Jamaika" mit Union und Grünen.

Die Linke

Das Gegenteil zur FDP hat die Linke im Programm, die beim Klima ausschließlich auf Regeln, Anreize und Förderung von emissionsarmen Alternativen setzen will - ganz ohne einen CO2-Preis. So setzt sie beispielsweise auf kostenlosen Nahverkehr und eine “sozialökologische Investitionsoffensive”. Wie gut das funktionieren kann ist umstritten. Menschen nutzen durch Einsparungen entstandenen Spielraum gerne durch andere Dinge aus, die im Zweifel ebenso schädlich sein können (sog. “Rebound-Effekt”). Was dann fehlt, wird über ordnungspolitische Maßnahmen durchgesetzt. Immerhin: Die Linke hat von den großen Parteien das ehrgeizigste Klimaziel formuliert und verfehlt zumindest in dieser Hinsicht das 1,5 Grad-Ziel nur knapp.

Die Linke will mit ihren Steuerplänen dafür sorgen, dass Topverdiener mehr und Geringverdiener weniger belastet werden. Für den Mittelstand sieht die Linke von allen Parteien mit Abstand die größten Entlastungen vor. Wer also etwa 80.000 Euro oder weniger verdient, profitiert vom Programm der Linken am meisten. Gleichzeitig will die Linke eine Vermögenssteuer einführen. So sorgt die Linke in der Staatskasse für Mehreinnahmen von etwa 37 Milliarden Euro, vorausgesetzt natürlich, die Vermögenden wandern nicht sofort vor Schreck aus. Laut einer Yougov-Umfrage befürworten aber sogar unter Vermögenden 76 Prozent die Einführung einer Vermögenssteuer. Trotzdem bleibt die Idee umstritten.

Koalitionen mit der Linkspartei werden vermutlich an der außenpolitischen Haltung der Linken scheitern, die die NATO am liebsten auflösen möchte. Das ist allerdings mit keiner anderen Partei zu machen.

Die Grünen

Die Grünen liegen klimapolitisch spannenderweise etwa in der Mitte zwischen der Linken und der FDP. Das Klimaziel ist nicht so ehrgeizig wie das der Linken, und die Maßnahmen sind eine Mischung aus beiden: Ein CO2-Preis, der voraussichtlich deutlich unter dem Vorschlag der FDP bleiben wird, dafür der Wirtschaft aber wegen einer stabilen Preisentwicklung bessere Planbarkeit bietet als das Konzept der FDP, kombiniert mit Subventionen für klimafreundliche Alternativen. Die Grünen haben wohl aus der Vergangenheit gelernt: Verbote findet man im Wahlprogramm kaum. Kurzstreckenflüge sollen nicht verboten, sondern durch die Schaffung von Alternativen “überflüssig gemacht werden”. Ansonsten fordern die Grünen ein Tempolimit auf Autobahnen, und sie wollen die Einnahmen aus dem CO2-Preis wie die FDP an die Bevölkerung ausschütten - bei den Grünen nennt sich das Energiegeld. Insgesamt liest sich das Klimaschutz-Konzept der Grünen sehr schlüssig und glaubwürdig.

Das Steuerkonzept der Grünen geht zwar in die gleiche Richtung wie das der Linken, ist aber wesentlich moderater. Auch hier werden vor allem der Mittelstand und geringe Einkommen entlastet, während Top-Verdiener und Vermögende draufzahlen. Wer also etwa 80.000 Euro oder weniger verdient und nicht die Linke wählen möchte, fährt mit den Plänen der Grünen am Besten. Der größte Richtungsunterschied betrifft Einkommen zwischen 100.000 Euro und 150.000 Euro: Hier will die Linke belasten und die Grünen entlasten. Insgesamt wird der Staatshaushalt durch die Grünen um etwa 18 Milliarden Euro entlastet. Für weitere Investitionen wollen die Grünen die Schuldenbremse lockern.

Die Grünen wünschen sich eine Koalition mit der SPD, aber dafür wird es wahrscheinlich nicht reichen. Denkbar wäre eine “Ampel” mit SPD und FDP.

Umverteilung

Infografik: Die Mitte profitiert am wenigsten von der Union | Statista

Alle Parteien wollen den Mittelstand entlasten. Die Linke und die Grünen haben die stärkste Entlastung im Programm, die Union möchte hier keinen Schwerpunkt setzen. Union und FDP entlasten dafür vor allem Top-Verdiener: Je höher das Einkommen, desto höher die Entlastung - sowohl in prozentualen als auch in absoluten Zahlen.

Mehr Infografiken finden Sie bei Statista.

CDU/CSU und SPD

Bei CDU/CSU und der SPD stehen zwar auch ein paar Dinge zum Klimaschutz im Programm, aber nichts davon wird ansatzweise ausreichen, um das 1,5 Grad - Ziel einzuhalten. Der Kohleausstieg wird weiter verzögert, der CO2-Preis ist wirkungslos gering. Auch in der Vergangenheit haben diese Parteien eher dafür gekämpft, wirkungsvollen Klimaschutz zu verhindern. Und so stehen Union und SPD vor allem für ein bremsendes “Weiter so” und wenig Konkretes. Mal soll etwas “modernisiert” werden und mal sollen “Ziele” festgelegt werden, aber alles klingt so, als hätte noch niemand wirklich darüber nachgedacht. Die SPD ist wie die Grünen für das 130-Tempolimit, die Union vor allem für Wasserstoff. Letzterer ist wegen des enormen Energiebedarfs bei der Herstellung ziemlich umstritten.

Bei den Steuerkonzepten liegen Union und SPD in der Mitte zwischen den Grünen und der FDP. Die Union liegt näher bei der FDP (Entlastungen überwiegend für Top-Verdiener) und die SPD näher bei den Grünen (Entlastungen überwiegend für Mittelstand und Geringverdiener). Die Union verursacht dabei zusätzliche Kosten von 33 Milliarden Euro, während die SPD Mehreinnahmen von 14 Milliarden Euro schafft. Die Union will außerdem weiter an der Schuldenbremse festhalten und glaubt wie die FDP an ein neues Wirtschaftswunder, um die Mehrkosten zu bezahlen. Seriöse Gegenfinanzierung sieht anders aus.

Die Union würde am liebsten mit der FDP koalieren, die SPD mit den Grünen. Für beides wird es wohl nicht reichen. Olaf Scholz würde aber lieber wieder in eine Große Koalition mit der Union gehen als es mit der Linkspartei zu versuchen. Fürs Klima wäre eine erneute GroKo mit fortgesetztem Schlummerkurs die schlimmstmögliche Option.

Die restlichen Parteien

Die AfD bleibt völlig außen vor, weil sie noch immer nicht an den menschengemachten Klimawandel glaubt und dementsprechend auch nichts dagegen tun möchte. Ein echtes Steuerkonzept hat die AfD ebenfalls nicht vorgelegt.

Die Klimaschutz-Konzepte einiger Kleinparteien sind deutlich besser als die der großen Parteien, aber diese werden es wohl nicht über die 5%-Hürde schaffen. Angesichts der Tatsache, dass wir für diese richtungsweisenden Entscheidungen aber leider nicht mehr genug Zeit haben um weitere vier Jahre abzuwarten, fällt es schwer, diesmal eine Empfehlung für eine Kleinpartei auszusprechen. Wem das egal ist, der ist zum Beispiel mit der ÖDP oder der Tierschutzpartei gut beraten - alle Anderen wählen vielleicht lieber das “kleinere Übel”.

Meine Meinung

Ausdrücklich abraten würde ich im Hinblick auf die katastrophalen klimapolitischen Pläne von Union, SPD und AfD. Die Vorschläge von FDP und der Linken sind aus meiner Sicht Experimente, die wir uns im Moment eigentlich nicht leisten können. Die Grünen präsentieren ein recht solides, wenn auch leider nicht ausreichendes Programm der klimapolitischen Mitte, dazu ein durchdachtes Steuermodell. Wer sich nicht entscheiden kann, dem würde ich bei dieser Wahl nahelegen, sich für die Grünen zu entscheiden.